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TOUR | 08.01.2020 | Riis Wilbrecht

Die vergessene Skitouren-Route

Die Colter Traverse durch den Yellowstone Nationalpark

Schneeschuhe, ein Gewehr und eine 15 Kilo schwere Tasche – mit dieser Ausrüstung erkundete der Pelzjäger und „Mountain Man“ John Colter in den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts das Größere Yellowstone-Ökosystem im Westen der heutigen USA. Etwa 200 Jahre später folgten die beiden Athleten und begeisterten Skitourengeher Riis Wilbrecht und Thomas Sawyer seinen Spuren durch die Absaroka-, Beartooth-, Gros Ventre- und Teton-Ranges mit ihrer ganz eigenen, unvergleichlichen Perspektive und ihrem eigenen Verständnis von Abenteuer. Die vergangenen zwei Winter nutzen Sawyer und Riis immer wieder, um die Gegend in Begleitung von Freunden auf Tourenski aufzusuchen und von menschenleeren Gipfeln abzufahren. Bei ihren Touren durch dieses unbekannte Terrain stießen sie aber nicht nur einmal an ihre geistigen und körperlichen Grenzen. Riis Wilbrecht erzählt euch mehr von diesem Projekt, bei dem die beiden Athleten zeigen wollten, dass das nächste große Abenteuer oft direkt vor der eigenen Haustür wartet.

John Colter – die Entdecker-Legende

Man sagt, das Abenteuer kommt immer zu denen, die danach suchen. So war es auch stets bei John Colter. Seine Geschichte wird auch zweihundert Jahre später noch erzählt. Mein Freund Thomas Sawyer und ich sind in Jackson Hole, einem Tal in Wyoming, USA, aufgewachsen, durch das Colter seinerzeit vermutlich gegangen ist. Wenn man dort geboren ist, dann ist man geprägt vom Vermächtnis der Berge und dem Erbe der Menschen, die dort schon lange vor unserer Geburt die kühnsten Abenteuer erlebt haben. Wir sind mit dem Namen John Colter groß geworden. Seit unserer Kindheit war dieser Pionier und Entdecker eine Inspiration für uns. Für diejenigen unter Euch, die mit dem Leben und der Geschichte von Colter nicht so vertraut sind wie wir, möchte ich eine kurze Zusammenfassung geben. Denn schließlich sind einige seiner Erlebnisse in die amerikanische Mythenbildung eingegangen und seine Geschichte lebt bis heute fort. 

Abseits der üblichen Pfade - inspiriert von John Colter

Inspiriert von der Geschichte von John Colter, wollten wir seiner Route durch den Yellowstone Nationalpark folgen. Wir begannen unser Abenteuer in den Bergen, in denen Colters Abenteuer seinerzeit endete. Trotzdem hatten wir nicht die Absicht, wie Colter, Felle zu tragen und mit Schneeschuhen durch die Wildnis zu laufen. Seine Leistung ist zweifellos einzigartig. Wir sind aber trotzdem sehr froh, dass wir jetzt mit Gore-Tex und Pin-Bindungen ausgestatten sind. Unser Ziel war es, seine Route entsprechend den heutigen Möglichkeiten zu modernisieren und zu zeigen, wie sich das „in die Berge gehen“ in den letzten zwei Jahrhunderten verändert hat. Da wir in Jackson Hole, südlich des Yellowstones geboren und aufgewachsen sind, hatten wir von Colters berüchtigtem Zusammenstoß mit den Blackfeet gehört. Wir wussten, dass er ein sehr erfahrener Pelzjäger war – wir konnten uns jedoch nicht vorstellen, wie groß sein Vermächtnis in der Yellowstone Region wirklich ist.

„Unser Ziel war es, seine Route mit den heutigen Möglichkeiten zu modernisieren und zu zeigen, in wie weit sich der Zugang zu den Bergen seit Colters Expedition verändert hat.“

Im April 2018 war es an der Zeit, unser Abenteuer zu beginnen. Sawyer versuchte Morgan Mcgloshlon, Sam Wiley und mich selbst zu überzeugen, einen kleinen Teil der Route in der Nähe von Cooke City in Angriff zu nehmen. Erstmal nur um zu sehen, was dort war. Vier Freunde, sieben Tage Wintercamping und einige Gipfel, die ich noch nie zuvor gesehen hatte – das klang nach einer ziemlich großartigen Art, die Frühlingsferien zu verbringen. Mit den faszinieren Erfahrungen, die wir bereits auf diesem kleinen Teil der Route sammeln konnten, wurde uns klar, dass wir einfach die komplette Route absolvieren müssten.
Was als Ferienaktivität begonnen hatte, wurde schnell zu dem, was wir das „Colter Projekt“ nannten. Das Jahr, in dem wir den Geist von Colter durch die Berge jagten, vermittelte uns ein Gefühl des Vertrauens in die Wildnis, wie wir es noch nie zuvor erlebt hatten. Unsere bisherigen Erfahrungen mit der Wildnis reichten gerade so aus, um ein solches Abenteuer überstehen zu können. Fast an jedem Tag des Projekts wurden wir mit unvorstellbaren Herausforderungen konfrontiert, abgerundet mit dem obligatorischen Feierabendbier.

“Was als Beschäftigung für die Ferien startete, wurde zu dem, was wir das Colter Projekt nannten.”

Wir trafen auf riesige Gipfel und breite Flüsse und fanden mehr Fährten von gefährlichen Tieren im Schlamm als wir es uns je gedacht hätten. Immer wieder wurden wir an die riesigen Kräfte der Natur erinnerte. Vielleicht hatte sich Colter damals auch einfach nur verirrt und ließ jetzt zwei junge Männer ziellos umher wandern. Oder aber, Colter wollte wirklich eine Erfahrung machen, die sich von allem anderen deutlich abheben sollte. Unabhängig von seinen ursprünglichen Absichten wurde daraus jedenfalls eine unvergessliche Geschichte.

Die Moderne Version einer vergessenen Skitouren-Route

Die Tatsache, dass niemand weiß, wo Colter genau gegangen ist, machte dieses Projekt weniger zu einer Wiederbelebung einer "vergessenen" Route als vielmehr zu einer, die viel Spielraum für eigene Interpretationen lässt. Deswegen hatten wir – natürlich abhängig von den Bedingungen – relativ viel Entscheidungsfreiheit, wo wir dem Ski fahren oder aufsteigen wollten. Seit fast zwei Jahrzehnten waren wir neugierig darauf, die Berge zu erkunden, die unser Zuhause umgeben. Jetzt waren wir an dem Punkt, an dem wir glaubten, ein solches Abenteuer schaffen zu können. Der Yellowstone ist der älteste Nationalpark der Welt und raubt einem mit seinen Geysiren und wilden Tieren einfach den Atem. Während er im Sommer eine riesige Touristenattraktion ist (über die Hauptwege laufen jede Saison über 3 Millionen Besucher) verirrt sich im Winter fast niemand dorthin, um die Wildnis zu bestaunen. Wir wollten die Orte, die wir auf einer Karte gesehen hatten, selbst erkunden und unsere Erfahrungen mit der Welt teilen. Aus diesem Grund haben wir entschieden, über unser Abenteuer ein Film zu drehen um zu zeigen, wie ein Tag aussehen könnte, wenn man seinen eigenen Weg geht.

Gut vorbereitet – ohne zu wissen, was einen erwartet

Eigentlich haben wir uns unser ganzes Leben auf die Colter Route vorbereitet. Sawyer und ich sind mit dem Klettern, Laufen und Befahren neuer Berge und Rinnen auf Ski groß geworden. Wir haben nie etwas ausgelassen. Die schwierigste Aufgabe bei diesem Projekt war für uns deswegen die Recherche, wo genau es hin gehen sollte. Sawyer verbrachte Tage damit, die perfekte Route mit dem besten Terrain zum Skifahren zu finden. Dazu kam, dass wir außerdem noch das richtige Material brauchten. Nachdem wir unseren Plan finalisiert hatten, machten wir uns auf den Weg, ohne zu wissen, was uns letztlich erwarten würde. Jeder Tag dieses Projekts war unvorhersehbar unterschiedlich. Wir wussten nicht, wie sich die Schneebedingungen verändern und die Eigenschaften des Geländes aussehen würden. Außerdem hatten wir vorher nicht den Hauch einer Ahnung, wie sehr wir an unsere Grenzen gehen mussten. Wir erlebten beängstigende Lawinenverhältnisse, Verletzungen, brenzlige Massen an Schnee und Dutzende anderer Hindernisse, die wir überwinden mussten.

“Unser ganzes Leben lang, haben wir uns auf das Colter Projekt vorbereitet, das Ergebnis und die Herausforderungen waren jedoch komplett unbekannt.“

In Situationen wie diesen, ist es sehr wichtig ruhig und aufgeschlossen zu bleiben und zu akzeptieren, dass sich die Route verändert oder man sogar von seinen Plänen abweichen muss. Ein perfekter Tag bestand darin, das wir unserer geplanten Route bergauf wie bergab folgen konnten und dabei die Kamera lief. Perfekte Tage gab es aber nur sehr selten.
Doch jeder Tag, der nicht perfekt war, wurde zu einer Erfahrung aus der wir lernen und auf die wir aufbauen konnten.

Colter Ski Touring Route - do's and dont's

Wir möchten die exakten Namen der Berge und Rinnen, an denen wir gefilmt haben, nicht verraten, da wir diese Gebiete erhalten und beschützen wollen. Außerdem sollte jeder seinen eigenen Weg gehen, um auch sein Abenteuer auf eine eigene Art und Weise erleben zu können. Trotzdem wollen wir Euch Tipps geben, für den Fall, dass Ihr Euch dazu entscheidet, Eure eigenen Segel zu setzen und diese einzigartige Gegend zu erkunden.

Im Jahr 1804, im Alter von 19 Jahren wurde Colter für die Lewis und Clark Expedition engagiert, die quer durch die heutigen USA führte. Er verließ sein Zuhause im Osten von Amerika, um in den unbekannten und damals noch weitestgehend unbesiedelten Westen aufzubrechen. Colter, der für sein Können im Schießen, Jagen und Navigieren in der Wildnis bekannt war, hatte einen großen Anteil am Erfolg dieser Expedition. Nachdem diese vorüber war, entschied sich Colter aufgrund des florierenden Pelzhandels, im Amerikanischen Westen zu bleiben. Seine schlimmste Erfahrung mit dem Wilden Westen machte er, als er beim Kanu fahren auf dem Jefferson Fluss von dem Blackfeet-Stamm gefangen genommen wurde. Sein Partner überlebte diesen Angriff nicht. Er selber wurde zwar frei gelassen, jedoch nackt und verwundet. Seine Widersacher ließen ihm nur einen kleinen Vorsprung bis sie ihn wieder jagten. Er versteckte sich nachts in einem Biber Staudamm, um tagsüber die 240 Kilometer wieder zurück nach Fort Raymond zu laufen. Eine Legende, die die Widerstandsfähigkeit und Robustheit der damaligen Mountain Men eindrucksvoll beschreibt.

An unserem letzten Tag hatte sich Sawyer vorgenommen, knappe 100 Kilometer auf normalen Straßen von Cooke City nach Cody zu laufen. Es sollte die bei weitem längste Strecke sein, die er je an einem Tag gelaufen ist. Bislang waren 60 Kilometer sein absolutes Maximum gewesen. Seit ich Sawyer kenne, hab ich noch nie gesehen, wie er sich so sehr an sein eigenes Limit brachte. Sawyer war angespornt von dem Bewusstsein, etwas zu erreichen, das bis dato nur eine andere Person erreicht hatte. Natürlich war die Herangehensweise von Sawyer und seine Leistung eine andere als bei Colter. Aber ich bin mir sicher, dass beide ein ähnliches Gefühl von Erleichterung erlebten. Unsere Route war die anspruchsvollste, die ich mir durch den Yellowstone vorstellen konnte, gepaart mit einer einzigartigen Perspektive. Das Erlebte hat uns dazu inspiriert, weitere Orte in der Wildnis zu erkunden und hat uns dabei geholfen, bessere Athleten zu werden. Wir haben uns vorgenommen, mit besseren Kenntnissen über die Region und höheren Zielen in naher Zukunft in diese Region zurückzukehren.  

Versucht nicht mehr an Strecke zu machen, als Ihr Euch von vornherein an einem Tag zutraut. Die Konsequenzen, falls etwas das schief geht, können in der Wildnis katastrophal sein. Bringt ausreichend Essen, Wasser und ein paar Bier mit, um harte Tage zu feiern. Zusätzlich zu den sehr grundlegenden Ratschlägen, ist es wichtig einen guten Partner zu haben. Sawyer und ich können uns in den Bergen seit unserer Kindheit blind vertrauen und haben unsere gemeinsamen Fähigkeiten Schritt für Schritt mit jedem erlebtem Abenteuer verbessert. Wir waren uns nicht ganz sicher, wie die Colter Route sein würde. Wir wussten nicht, wo wir Ski fahren würden, aber was wir wussten genau, dass wir uns im schlimmsten Fall gegenseitig den Rücken stärken und uns den Weg aus den Bergen bahnen konnten. Es ist extrem wichtig in den Bergen eine „Ski-Partnerschaft“ zu haben, mit der man die richtigen Entscheidungen trifft.

Eine der weniger bekannten Geschichte über Colter ereignete sich im Winter 1807/1808. Nach Überlieferungen des Crow Stamms beschloss Colter, von Fort Raymond nach Süden zu reisen, um zu sehen, welche Geheimnisse jenseits der Absaroka Range warteten. Da Colter kein Tagebuch führte, sind sich Historiker bis heute nicht ganz sicher, ob er die von ihm angegebene Route auch wirklich so begangen hat. Basierend auf mündlichen Überlieferungen gibt es im Archiv der Montana State University eine Handvoll Karten, die eine allgemeine Einschätzung darüber geben, wohin Colter während seines Solo-Winters gereist sein könnte. Das Gebiet, das wir heute als den Yellowstone Nationalpark kennen, war früher auch als „Colter‘s Hell“ bekannt. Im tiefsten Winter, bei -40 Grad Celsius, soll er rund 1000 Kilometer durch einige der anspruchsvollsten Gegenden der Rockies gezogen sein. Er vollbrachte damit eine Leistung, die seitdem niemand mehr im Stande war zu wiederholen.